Dies ist kein Lieblingslied

Natürlich wollte ich auch mal weg hier, aber das ist lange her.

Es hatte mit meinem ersten Auto zu tun, dem dunkelgrünen Ford Taunus. Und damit, dass ich mit zwanzig nicht viel älter war als mit fünfzehn; mit der merkwürdigen Zeit nach dem Abitur und vor dem Studium, mit der Tatsache, dass ich ein winziges Appartement unterm Dach im Haus meiner Eltern hatte, wo ich in langen, heißen Sommernächten auf dem Bett lag und versuchte, wenigstens für ein paar Minuten meinen Namen zu vergessen. Ich hörte laute Musik, bis sich jemand beschwerte, dann setzte ich den Kopfhörer auf und drehte die Lautstärke noch weiter auf.

Eines Nachts, Juli oder August 86, nahm ich eine Tasche aus dem Schrank, stopfte ein paar Sachen und viele Musikkassetten hinein, kratzte mein Geld zusammen, zog die Jeansjacke an, stürzte die Treppen hinunter und verließ das Haus. Der Wagen stand gegenüber, gleich neben der Litfaßsäule, auf der seit Wochen eine Zigarettenwerbung den Geschmack von Freiheit und Abenteuer versprach. Ich warf die Tasche auf den Rücksitz, stieg ein und fuhr los.

Carola wohnte in der Nähe der Uni in einem weiß geklinkerten Bungalow. Ihr Zimmer ging im Souterrain zur hinteren Terrasse hinaus. Ein paarmal hatte ich spät in der Nacht diesen Ausgang benutzt, wenn ihre Eltern schon schliefen und ich nicht durchs ganze Haus zur vorderen Tür schleichen wollte. Leider war in diesen Nächten nicht halb so viel passiert, wie alle glaubten und wie ich mir erhofft hatte.

Während der Fahrt hörte ich Musik, immer wieder die gleiche Nummer, die, die mich überhaupt dazu gebracht hatte, mich um diese Zeit mit diesem speziellen Plan im Kopf auf den Weg zu machen.

Ich ließ den Wagen in einiger Entfernung vom Haus unverschlossen und mit heruntergelassenen Scheiben stehen. Das hier war eine gute Gegend, und wer sollte schon einen fünfzehn Jahre alten Ford Taunus klauen, dessen Schaltknüppel sich im dritten Gang aus der Verankerung löste?

Ich ging um das Haus herum, fand die schmale Lücke in der Ligusterhecke, zwängte mich hindurch und schlich über die Terrasse. Ich legte meine Hände ans Glas und sah hinein. Carola lag bäuchlings auf dem Bett, ein Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt. Ich klopfte leise an die Scheibe, aber sie rührte sich nicht. Ich klopfte stärker, und sie zuckte zusammen und fuhr auf. Als sie mich erkannte, stand sie auf und öffnete die Tür.

»Was willst DU denn hier?«

Sie ließ mich rein und warf sich wieder aufs Bett. Ich sagte ihr, weswegen ich gekommen sei. Sie meinte, ich sei nicht ganz dicht.

»Wir haben darüber geredet. Mehr als einmal. Du hast gesagt, du kommst mit.«

Carola seufzte. »Es ist mitten in der Nacht, ich bin müde. Ich bin erst um zwei Uhr ins Bett gekommen.«

»Um diese Zeit ist die A 40 noch nicht so voll. Bevor die Staus anfangen, sind wir in Holland.«

Sie setzte sich auf die Bettkante und strich die Haare zurück. »Du meinst es wirklich ernst, was?«

Ich sagte nichts.

»Mein Gott«, stöhnte sie. »Was man eben so rumspinnt, wenn man eine ganze Flasche Wein intus hat.«

»Soll das heißen, es war nicht ernst gemeint?«

»Weißt du was? Lass uns morgen noch mal drüber reden. Irgendwo ne Pizza essen und dann sehen wir weiter. Ich bin jetzt einfach nur müde.« Sie kippte nach hinten, zog ihre Beine an und kroch Richtung Kopfende.

Ich sah mich um. Das Zimmer war sehr unordentlich. Überall lagen Kleidungsstücke und Schallplatten herum. Auf dem Nachttisch neben dem Rattanbett eine offene Packung Drum. Ich wartete noch ein paar Minuten, bis sie wieder eingeschlafen war. Vielleicht tat sie auch nur so. Ich ließ die Tür offen stehen.

Die ganze Sache hatte vielleicht zehn Minuten gedauert, doch als ich zu meinem Auto zurückkam, lag meine Tasche nicht mehr auf dem Rücksitz. Um die paar T-Shirts, die Unterhosen und die zweite Jeans war es nicht schade. Aber es würde mich Wochen kosten, die zwanzig Kassetten neu aufzunehmen.

Wenigstens steckte die, die ich vorhin gehört hatte, noch im Rekorder. Ich ließ den Wagen an, fuhr durch die Gegend und hörte »Thunderroad« von Bruce Springsteen, die sparsame Live-Version, die Geschichte von einem, der mit dem Wagen bei einer Frau vorbeifährt, um mit ihr durchzubrennen.

Rechtzeitig zum Frühstück war ich wieder zu Hause.

 

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